Rund 3,3 Bill. Euro: Die Konjunkturprogramme der Biden-Regierung sind weit mehr als ein Reparatur-Versuch der Corona-Folgen. Sie sind eine Generalüberholung der US-Wirtschaft. Mit großen Chancen für deutsche Unternehmen.

213 Mrd. US-Dollar für bezahlbaren Wohnraum, 174 Mrd. US-Dollar Subventionen für Elektroautos, 115 Mrd. US-Dollar für die Modernisierung von Straßen und Brücken, 111 Mrd. US-Dollar für die Modernisierung der Wasserversorgung, 100 Mrd. US-Dollar für ein grünes Energienetz, ganze 45 Mrd. US-Dollar einzig, um die Bleirohre aus der Infrastruktur zu bekommen, und, und, und. US-Präsident Biden geht es um weit mehr als eine Schadensbegrenzung der Corona-Pandemie. Es ist mehr eine Art Generalüberholung der US-Wirtschaft, nach der er strebt.

Das erste Konjunkturpaket ist beschlossene Sache: 50 Tage nach Bidens Amtsantritt, passierte der „American Rescue Plan“ den Kongress. Mit 1,9 Bill. Dollar will die Biden-Regierung die USA aus der Corona-Rezession holen. Das zweite Maßnahmenpaket, der „American Jobs Plan“, wird derzeit noch viel diskutiert. Eine überwältigende Mehrheit der US-Bevölkerung scheint den Plan zu wollen – die Menschen sind überzeugt von den Millionen an neuen Jobs, den wirtschaftlichen Produktivitätsgewinnen und den Ideen von sauberer Energie, Umwelt und Klima. Problematisch scheint in den Gesetzgebungsgremien allerdings die Bezahlung der Ausgaben gesehen zu werden. Die will Biden nämlich durch Steuererhöhungen leisten und damit einen Teil der Steuersenkungen, die 2017 unter Donald Trump als eine der größten Errungenschaften seiner Karriere in Kraft traten, wieder rückgängig machen. Derzeit ist es also ungewiss, ob das zweite Konjunkturpaket in dem beworbenen Umfang in Kraft treten wird.

Wenn es Amerika gut geht, geht es auch deutschen Unternehmen gut

Eine zugegebenermaßen etwas pauschalisierte These. Dennoch werden deutsche Unternehmen von den US-Konjunkturpaketen profitieren.

Indirekt, weil die USA für die deutsche Wirtschaft nun mal das wichtigste Export-land stellen. Etwa zehn Prozent der deutschen Ausfuhren gehen in die USA – Autos, Maschinen und Pharmaprodukte in großen Mengen. Geht es Amerika also gut, führt dies zu einer höheren Nachfrage im Inland und damit automatisch zu mehr und größeren Aufträgen in Deutschland. Unter anderem auch, weil deutsche Firmen vieles gut können, bei dem amerikanische Unternehmen weniger gut sind. Maschinen zum Beispiel. Hier könnten deutsche Unternehmen also als wichtige Zulieferer für die US-Industrie mit Aufträgen rechnen. Profitieren werden aber andere Branchen – Konsumgüter-Exporteure, Lieferanten von intelligenten Strom-netzen, Ausrüster von Energiegewinnungsanlagen oder Produzenten von intelli-genten Werkstoffen.

Direkt profitieren werden jene, die auf unmittelbare Aufträge aus den Konjunk-turprogrammen hoffen. Also insbesondere die mit US-Ablegern. Setzen werden die meisten von ihnen auf eine Beteiligung im Rahmen des noch nicht verabschiede-ten Infrastrukturprogramms. Aber auch der „American Rescue Plan“, der eigentlich einen sozialen Schwerpunkt hat, bietet deutschen Unternehmen Chancen: Mit 58,2 Mrd. US-Dollar soll die Transport- und Verkehrsbranche gefördert werden; 16 Mrd. US-Dollar gibt es für die Agrar- und Nahrungsmittelwirtschaft. Landes- und Kommunalhaushalte erhalten Bundeszuschüsse im Umfang von 360 Mrd. US-Dollar. Die zahlreich anlaufenden Projekte zur Ausweitung und Modernisierung des Gesundheitsschutzes und der Infrastruktur in den Gemeinden und Kommunen, etwa in der Wasserwirtschaft, aber auch in den Bereichen Transport, Verkehr, Agrar- und Nahrungsmittelbereitstellung dürften also einiges für deutsche Firmen parat halten.

Bidens Buy-American-Dekret

Dass „America First“ auch einer Biden-Regierung nicht völlig fremd ist, hatte sich eigentlich schon im Wahlkampf des aktuellen Präsidenten abgezeichnet. Das jedoch so schnell der erste Schritt in diese Richtung getan wurde, hatte man vermutlich auch nicht erwartet: Seit dem 22. Februar 2021 ist ein neues Gesetz in Kraft, die “Executive Order on Ensuring the Future Is Made in All of America by All of America’s Workers“, in der die Biden-Regierung alle Bundesbehörden verpflichtet, bei Beschaffungen ab 10.000 US-Dollar einheimische Unternehmen zu bevorzugen, sofern ihre Waren zu mindestens 55 Prozent aus heimischer Produk-tion stammen. Bei Stahl und Aluminium sollen es sogar über 95 Prozent sein. Abgewichen werden kann davon nur, wenn die Preise der heimischen Waren 20 Prozent oder mehr über denen von gleichwertigen ausländischen Anbietern liegen.

Welche langfristigen Auswirkungen diese Executive Order auf deutsche Unter-nehmen hat, wird sich erst mittelfristig in der Praxis zeigen. Aufträge über 182.000 US-Dollar müssen nach wie vor allen Mitgliedsländern des „Government Procurement Agreement“ (GPA) der WTO offenstehen. Und für die Beteilung an öffentlichen Tendern unterhalb der Bundesebene sind Forderungen nach einer nationalen Lieferbindung, wie sie bei Bundesausschreibungen vorgeschrieben sind, nicht direkt bindend. Dennoch gibt es zwischen 10.000 US-Dollar und 182.000 US-Dollar eine Spanne, und da gerade im Rahmen der aktuellen Konjunkturprogramme es sich um Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt handelt und die Bundesstaaten vermutlich auch an einer bestmöglichen Förderung von Wirtschaft und Arbeitskräften vor Ort interessiert sein werden, dürfte der „Buy-American-Gedanke“ bei den Entscheidungsträgern von Ort vermutlich doch eine Rolle spielen. Durchaus möglich, dass es von Seiten deutscher Unternehmen mittelfristig doch zu der ein oder anderen Produktionseröffnung in den USA oder Veränderungen in den Wertschöpfungsketten kommt.

Das US-Beschaffungswesen

Ein Blick auf die U.S. Government Procurement Statistics zeigt: Das Potenzial der Beschaffung in den USA ist auf jeden Fall groß und wird nicht zuletzt aufgrund der gewaltigen Konjunkturprogramme der Biden-Regierung in den kommenden acht Jahren wachsen. Groß ist allerdings auch die Komplexität des Beschaffungs-marktes: 50 Staaten, 19.519 Städte, 3031 Bezirke – hier den Überblick zu behalten, die richtigen Kontakte zu pflegen und sich zum richtigen Zeitpunkt einzubringen, fällt nicht nur ausländischen Unternehmen schwer.

Newsletter der IHK Hannover, 17.05.21