Türkische Kaufleute nehmen sich Zeit für das Geschäft. Wer unter Termindruck steht, sollte sich dies nicht anmerken lassen. Zwar mag es lokale Geschäftsleute oder Beamte geben, die es mit der Zeit nicht so genau nehmen, doch sind Termine grundsätzlich pünktlich einzuhalten. In den Großstädten sollten mögliche Staus bei der Anreise einkalkuliert werden.

Unvorhergesehenes kommt fast immer dazwischen

Oft wird nur auf kurze Sicht geplant. Entscheidungen fallen spontan, ohne Details und Folgen genau zu prüfen und abzuwägen. Genaue Planung ist jedoch schwierig, da sich wirtschaftspolitische Vorgaben häufig ändern oder zuverlässige Statistiken fehlen.

Daher versprechen Unternehmer in bester Absicht oft mehr, als sie halten können. Wo ausländischen Kaufleuten ein klares Nein oder eine kritische Analyse lieber wäre, sprechen ihre türkischen Partner von Chancen und Möglichkeiten. Unvorhergesehenes kommt fast immer dazwischen. Große Projekte starten selten pünktlich und werden nicht immer fristgerecht zu Ende geführt.

Teamwork und Delegation von Verantwortung sind noch Neuland. Schulen und andere Ausbildungsstätten haben zum großen Teil autoritäre Prägung, Familien patriarchalischen Charakter. Als Spiegelbild der Gesellschaft sind auch die meisten Firmen hierarchisch strukturiert.

Viele Unternehmen sind Familienbetriebe. Der Senior hat das letzte Wort und kann am Ende der Verhandlungen noch einmal alles umwerfen. Personal untergeordneter Ebenen ist es nicht gewohnt, Verantwortung zu übernehmen. Die junge Generation türkischer Manager, die in den neuen türkischen Eliteuniversitäten und in den USA und Europa studiert hat, sorgt jedoch für Wandel. Sie gilt als hoch motiviert, erfolgsorientiert und entscheidungsfreudig.

Tief sitzende Händlermentalität

Der Stil bei Geschäftskontakten lässt sich als eine Mischung aus formal und herzlich beschreiben. Kleidung, Begrüßungsrituale und Gesprächsthemen bewegen sich in relativ engem Rahmen. Auf der Beziehungsebene, bei Gestik, Mimik und dem Ausloten von Verhaltensweisen ist der Austausch jedoch emotionaler und hat einen größeren Spielraum.

Der Aufbau einer persönlichen Beziehung und die Positionierung im Geflecht der Kontakte und Hierarchien stehen im Vordergrund. Von einem deutschen Geschäftspartner wird erwartet, dass er "seine Rolle" ausfüllt, sprich, mit den vorausgesetzten deutschen Tugenden auch tatsächlich aufwarten kann.

Offene Kritik, Ironie oder Infragestellen eigener Positionen sind unüblich. Das Vorgehen der türkischen Seite ist oft geprägt von einer tief sitzenden Händlermentalität. Ein gemeinsames Verhandlungsergebnis geht deshalb eher auf einen Wettbewerb der Vorstellungen als auf eine Suche nach Konsens zurück.

Ehre und Ansehen manifestieren sich auch in Großzügigkeit, was bei Einladungen, Geschäftsessen und der Übergabe von Geschenken zu beachten ist. Beliebte Gesprächsthemen für den anfänglichen Smalltalk sind Familie und Kinder, Herkunft und Wohnort, eventuell Ausbildung und Universitätsbesuche, Anekdoten von alten Geschäftsfreunden und deren Erfolgen und natürlich Fußball – die wichtigsten Istanbuler Vereine sollten bekannt sein.

Während des Monats Ramadan herrscht in der Regel normaler Geschäftsbetrieb, eventuell mit zeitlichen Einschränkungen wegen des rituellen Fastenbrechens am Abend. Keinerlei geschäftliche Termine sollten zu den Bayram-Feiertagen zum Ende des Ramadans (Seker Bayrami, Zuckerfest) und zum islamischen Opferfest (Kurban Bayrami) eingeplant werden. Glückwünsche und Grußkarten sind zu diesen beiden Festen sowie zu Neujahr üblich.

Das in der Türkei etablierte System persönlicher Beziehungen können deutsche Unternehmen nutzen, um weitere Kontakte zu finden. Auch Fachfremde können weiterhelfen. Schriftverkehr ist in der Türkei weniger üblich als in Deutschland. Briefe werden fast nur für Vertragsangelegenheiten oder offizielle Einladungen verwandt. Ansonsten kommen Fax und E-Mail zum Einsatz. Termine werden am besten zuerst telefonisch angefragt, dann schriftlich bestätigt.

Kurz vor der Geschäftsreise sollte an den Termin noch einmal erinnert werden. Schriftliche Terminanfragen empfehlen sich nur, wenn am Telefon abgewimmelt wird. Meist können vor Ort weitere Termine kurzfristig mündlich anberaumt werden. Vom Besucher wird Flexibilität erwartet.
Ständige Erreichbarkeit auch nach Feierabend wird erwartet

Üblicherweise genügt ein Gesprächstermin nicht, um geschäftliche Fragen zu klären. Ohne Mobiltelefon kommt man deshalb nicht aus. Ständige Erreichbarkeit auch nach Feierabend wird erwartet. Beim Treffen mit türkischen Geschäftsleuten ist es üblich, Visitenkarten auszutauschen. Auf Messen sind schnell 500 Karten verteilt. Eine türkische Übersetzung der Visitenkarte ist nicht erforderlich. Am besten geeignet sind englischsprachige (im Zweifelsfall auch deutsche) Karten mit genauer Titelangabe, kompletter Adresse (auch die einer lokalen Vertretung) einschließlich E-Mail und Internetseite.

Bevorzugter Treffpunkt für Geschäftsbesprechungen sind Restaurants, wenn auch die erste Begegnung im Büro, auf Messen, Konferenzen oder Empfängen stattfinden kann. In die Firma führen türkische Geschäftsleute ihre Partner nur, um einen Eindruck vom Unternehmen zu vermitteln und Vertrauen zu schaffen. Außerdem finden dort Detailverhandlungen statt.

Der Händedruck zur Begrüßung ist in der Türkei weniger fest als in Deutschland. Ausländische Geschäftsfrauen beklagen manchmal, dass der Geschäftspartner ihnen beim Händeschütteln nicht in die Augen schaue. Dies ist eine, wenn auch veraltete, Respektbezeugung. Wenn das Eis getaut ist, kann bei Folgetreffen die türkische Begrüßung per Wangenkuss erfolgen. Teil des Begrüßungsrituals ist es, sich reihum nach dem gegenseitigen Empfinden zu erkunden.

Atmosphäre für das Geschäft will vorbereitet sein

Smalltalk am Anfang ist unerlässlich. Auf das eigentliche Geschäft kommt es erst im späteren Verlauf, wenn die Atmosphäre vorbereitet ist. Wann, das hängt vom türkischen Gesprächspartner ab. Dabei spielen Stellung, Mentalität und Terminkalender des Managers eine Rolle. Als Faustregel lässt sich sagen, je höher er in der Unternehmenshierarchie steht, desto weniger geht es um geschäftliche Details. Insgesamt sind für ein Mittag- und Abendessen etwa drei Stunden anzusetzen.

Die Firmenunterlagen sollten sich auf das Wesentliche beschränken. Ansprechender Optik wird dabei mehr Gewicht zugemessen als trockenen Daten. Der Vergleich von Geschäftsberichten türkischer und deutscher Firmen zeigt die unterschiedliche Gewichtung: Hier zahlreiche farbige Abbildungen von Firmenpersönlichkeiten und Referenzprojekten, dort sprödes Zahlenmaterial, viel Text, unterbrochen durch Infografiken.

Eine kurze Zusammenfassung auf Türkisch kommt gut an. Doch informieren sich Türken lieber im Gespräch als anhand von Texten. Auf Kongressen präsentieren sich Unternehmer am besten mit Multimediashows mit anschließenden Publikumsfragen.

Findet das Treffen in der Firma statt, bietet der türkische Gastgeber zunächst Getränke an. Dem türkischen Tee kommt ein fester Platz in der Geschäftskultur zu. Der Gast sollte das Angebot nicht ablehnen. Darüber hinaus wird meist ein türkischer Kaffee offeriert. Nach ausführlichem Vorgeplänkel startet derjenige mit dem Thema, der das Geschäft vorgeschlagen hat.

Bei der Anrede geht man in der Türkei schneller zum Vornamen und dem Du über als in Deutschland. Bei Gesprächen zwischen Türken erfolgt die höfliche Anrede gewöhnlich mit dem Vornamen und dem nachgestellten Zusatz Bey (Herr) oder Hanim (Frau).

Ausländer oder Personen mit ausländischem Namen werden immer mit vorgestelltem Bay (Herr) oder Bayan (Frau) und Nachnamen angesprochen. Beides wird auf Englisch mit Mr. oder Mrs. übersetzt.

Die Verhandlungssprache richtet sich nach den Kenntnissen des Gastes, wobei die türkische Seite im Bedarfsfall einige Mitarbeiter als Übersetzer hinzuzieht. Dies ist jedoch selten erforderlich. Professionelle Dolmetscher nehmen praktisch nur an offiziellen Begegnungen teil. Um Missverständnisse auszuschließen, sollten wichtige Punkte immer wieder zusammengefasst werden.

Türkische Manager beherrschen gewöhnlich eine Fremdsprache gut bis sehr gut. Neben Englisch kann dies auch Deutsch oder Französisch sein. Viele Kaufleute haben auf einem fremdsprachigen Gymnasium gelernt und/oder einer englischsprachigen Universität studiert. Für technische Fächer ist Deutschland das beliebteste Studienziel.

Einheimischer Vertrauter kann wichtige Hilfe sein

Es ist nicht ungewöhnlich, dass die Besprechung durch andere Besucher unterbrochen wird. Manchmal zieht die türkische Seite Fachleute der Abteilungen zu Einzelfragen hinzu. Telefonanrufe werden nicht immer als unhöfliche Störung empfunden. Eine freundliche Atmosphäre ist in jedem Fall zu wahren. Der ausländische Geschäftsmann sollte Unmut oder Kritik vorsichtig ausdrücken, ohne aber Missverständnissen den Weg zu bereiten.

Oft hören Ausländer kleine Nuancen von Ablehnung oder Kritik nicht aus Gesprächen heraus, die für Türken offensichtlich sind. Ein einheimischer Vertrauter kann hier gute Hilfe leisten.

Geschäfte machen und Preise verhandeln liegt der türkischen Mentalität nah. Das Feilschen auf dem traditionellen Markt geriet mit der Ausbreitung von Supermärkten und Einkaufszentren zwar in den Hintergrund. Doch ausgestorben ist diese Praxis noch nicht. Bei den meisten Besprechungen geht es um den Preis. Der ausländische Geschäftsmann sollte Margen für die verschiedenen Verhandlungsebenen einbauen, zum Beispiel je 10% für den Einkaufs- und Finanzleiter.

Branchen- und firmenabhängig gibt es hier naturgemäß Unterschiede. In konsumnahen Sektoren oder bei Dienstleistungen werden Preisnachlässe von bis zu 30% erwartet. In manchen Unternehmen kommt es vor, dass der Senior kurz vor Abschluss zur Verhandlung stößt und seinerseits einen Abschlag von 5% durchsetzen will.

Um Überraschungsbesuchen des Firmenseniors oder Behördenleiters vorzubeugen, sollten diese schon im Vorfeld in die Verhandlung einbezogen werden. Dazu bietet sich am besten ein Geschäftsessen an. Außerdem sollte man möglichst viele Informationen über die firmeninternen Entscheidungsprozesse sammeln.

Entscheidungsparameter für türkische Unternehmen sind – in dieser Reihenfolge – Preis/Produkt, Finanzierung und persönliche Beziehung. Qualitätsbewusstsein hat sich in der Türkei noch nicht in dem Maße durchgesetzt, wie es sich deutsche Anbieter wünschen. Als Trümpfe sollte der Anbieter beispielsweise kostenlose Schulungsmaßnahmen, Service oder besondere Finanzierungsbedingungen im Ärmel halten.

Auf keinen Fall sollte im Hinblick auf mögliche Anschlussgeschäfte unter Preis angeboten werden. Bei jedem Projekt wird neu verhandelt. Spätere Preiserhöhungen lassen sich schwer durchsetzen. Allerdings bieten Anschlussverträge die Möglichkeit, Serviceleistungen zu bündeln und damit Kosten zu sparen. Kleine Firmen sind ihrem Lieferanten eher treu als große.

Eine einheitliche Verhandlungslinie lässt sich im türkischen Geschäftsleben nicht ausmachen. Die Teilnehmer sollten spontan, flexibel und locker bleiben. Insgesamt läuft der Austausch emotionaler ab als in Deutschland. Basartaktik ist es zum Beispiel, dem Kunden zuerst ein teures Produkt mit allen Optionen zu präsentieren. Ist ihm dies zu teuer, zeigt der Anbieter günstigere Alternativen. Dadurch lassen sich höhere Preise für gute Qualität durchsetzen.

Vor Vertragsabschluss sollte auf jeden Fall ein Anwalt eingeschaltet werden. Bisweilen versucht die türkische Seite, den Vertragstext mit allgemeinen Formulierungen aufzuweichen, um ihn später zum eigenen Vorteil umzudeuten. Hier sollten bei aller Flexibilität die Grenzen des Machbaren dargelegt werden.

Kommt ein Geschäft nicht zustande, sollte sich der Ausländer dennoch um eine weiterhin freundliche Beziehung zum potenziellen Kunden kümmern. Die Erfahrung lehrt, dass türkische Industrieunternehmer zunächst auf billige lokale oder Fernost-Maschinen setzen. Bei späteren Erweiterungen kommen dann meist Qualitätsprodukte aus Europa zum Einsatz.

GTAI, 25.04.12