Die Rahmenbedingungen haben sich verschärft: Lokale Hersteller werden subventioniert und bei öffentlichen Aufträgen bevorzugt, zum Beispiel im wichtigen Markt Maschinenbau. Hohe Dynamik herrscht dagegen weiterhin in der russischen Pharmaindustrie.

Die Hoffnungen auf einen neuen Aufschwung in Russland sind vorerst verflogen.

Eigentlich ist Russlands Umfeld ideal für eine starke Konjunktur: Der schwache Rubelkurs unterstützt die Exporte und schützt die einheimischen Betriebe vor ausländischer Konkurrenz. Die Staatsverschuldung ist gering und der Finanzminister meldet Haushaltsüberschüsse.

Im Doing Business Report der Weltbank ist das Land in nur acht Jahren von Rang 123 (2011) auf Platz 31 (2019) nach vorne geschnellt. Und mit der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) vergrößert sich der Binnenmarkt auf 180 Millionen Verbraucher. Russlands Rohstoffe bleiben auf den Weltmärkten gefragt, die Digitalisierung der Verwaltung schreitet schneller voran als in vielen Ländern Westeuropas und der IT-Sektor wächst jedes Jahr zwischen 7 und 8 Prozent.

Trotzdem sind die Nachrichten aus der russischen Realwirtschaft eher ernüchternd. Das Bruttoinlandsprodukt wird 2018 voraussichtlich nur um 1,8 Prozent zulegen. Für 2019 erwartet die Regierung einen noch geringeren Zuwachs von 1,3 Prozent. Die Bruttoanlageinvestitionen steigen derzeit um etwa 3 Prozent pro Jahr. Viel zu wenig für ein Land mit derart viel Potenzial und Nachholbedarf.

Das sehen auch die deutschen Unternehmen so, die im Russlandgeschäft tätig sind. Nur noch 41 Prozent der befragten Unternehmen erwarten eine positive Entwicklung für 2019, so das Ergebnis der jährlichen Umfrage zum Geschäftsklima, durchgeführt von der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (AHK) und dem Ostausschuss-Osteuropaverein der Deutschen Wirtschaft (OAOEV). Ein Jahr zuvor waren es fast doppelt so viele. Jeder vierte Betrieb geht inzwischen von einer verschlechterten Wirtschaftslage aus, 2017 waren es nur 4 Prozent.

Exportvolumen stagniert

Der Pessimismus drückt sich auch in den Umfrageergebnissen zum Export aus. Nur 30 Prozent der Befragten prognostizieren für 2019 steigende Ausfuhren nach Russland. Die Mehrzahl (57 Prozent) geht von stagnierenden Liefervolumina aus.

Für das eigene Geschäft sind die Russlandmanager deutlich positiver gestimmt. Die große Mehrheit ist mit der Firmenentwicklung zufrieden, 31 Prozent bewerten die Geschäftslage sogar als gut bis sehr gut. Jedes dritte befragte deutsche Unternehmen will daher 2019 im Land investieren, ein ähnlich hoher Wert wie im Jahr zuvor.

Das freut Matthias Schepp, den Vorstandsvorsitzenden der AHK in Moskau: „Die deutschen Firmen wachsen gegen den Markttrend, obwohl sie keinen Rückenwind von der Konjunktur und von der politischen Lage bekommen.“ Nach seinen Angaben sichern die deutschen Unternehmen in Russland rund 270.000 Arbeitsplätze.

Größter Störfaktor für die Arbeit in Russland ist der volatile Wechselkurs. Fast zwei Drittel der Unternehmer nannten den schwachen Rubel als Haupthindernis für den Erfolg. Über die Hälfte der Befragten sieht sich direkt oder indirekt von den US-Sanktionen betroffen. Die deutschen Firmen unterstützen daher mehrheitlich den Aufbau eines Dollar-unabhängigen Zahlungssystems.

Zunehmend zu schaffen macht den deutschen Investoren der Protektionismus in Moskaus Wirtschaftspolitik. Jedes dritte Unternehmen ist von Lokalisierungsanforderungen betroffen. Sie beklagen außerdem Benachteiligungen bei öffentlichen Ausschreibungen, die Einfuhrbeschränkungen sowie die langwierigen Genehmigungsverfahren.

Zu geringer Reformeifer der Regierung

Fast drei Viertel der Umfrageteilnehmer sehen nach der Wiederwahl Wladimir Putins zum russischen Präsidenten im März 2018 keine Beschleunigung des Reformtempos. Daran haben auch die Mai-Dekrete des Kremlchefs nichts geändert, der mit Milliardenaufwand die Wirtschaft moderner und wettbewerbsfähiger machen will.

Der Geschäftsführer des OAOEV, Michael Harms, verweist darauf, dass die Reformen bislang eher sozialpolitischer Natur sind. „Das ist wichtig, aber wir würden uns auch eine Zurückführung des Staatseinflusses wünschen, mehr Unterstützung des Mittelstandes, mehr Wettbewerb und insgesamt stabilere Rahmenbedingungen.“

Harms kritisierte bei der Präsentation der Umfrageergebnisse in Moskau die zunehmenden Lokalisierungsanforderungen, die deutsche Unternehmen erfüllen müssen. Statt solcher planwirtschaftlicher Ansätze sollten Anreize für internationale Kooperationen geschaffen werden. Dem stimmt AHK-Vorstandsvorsitzender Schepp zu: „Wenn Beamte am Schreibtisch die Fertigungstiefen für Mähdrescher und Autos bis hinters Komma festlegen, dann ist das der falsche Weg.“

Immer weniger deutsche Firmen im Land registriert

Die schleppende Konjunkturentwicklung führt dazu, dass die Zahl der im Land registrierten deutschen Firmen weiter sinkt. Laut AHK sind derzeit noch rund 4.600 Unternehmen in Russland aktiv. Vor fünf Jahren waren es über 6.100.

Die verbliebenen Firmen nutzen jedoch die aktuell günstigen Investitionsbedingungen, zu denen auch der schwache Rubel beiträgt. Der AHK-Vorstandsvorsitzende Schepp meint, dass die deutsche Wirtschaft so viel wie selten zuvor in Russland investiert. Das bestätigen Zahlen der Bundesbank, wonach die Nettodirektinvestitionen deutscher Firmen in den ersten drei Quartalen bei 2 Milliarden Euro lagen.

Die größten Vorteile sehen die Unternehmen im Marktpotenzial sowie den Umsatz- und Gewinnaussichten, im großen Modernisierungsbedarf des Landes und der anstehenden Diversifizierung der Wirtschaft. Auch die konsumfreudigen Privathaushalte und die gut ausgebildeten Arbeitskräfte gelten laut der Umfrage von AHK und Ostausschuss als positive Standortfaktoren.

Die wachstumsstärksten Branchen sind aus deutscher Sicht die Land- und Ernährungswirtschaft, Informationstechnik (IT) und Telekommunikation, der Maschinen- und Anlagenbau sowie der Energiesektor, die Gesundheitswirtschaft und die Chemiebranche.

OAOEV-Geschäftsführer Harms unterstreicht daher die Chancen, die Russland nach wie vor bietet. Er nannte den Rohstoffsektor mit seinem Potenzial für mehr Downstream-Aktivitäten (mehr Verarbeitungsstufen), die Bedeutung der Landwirtschaft in Zeiten des Klimawandels, die „fantastischen Möglichkeiten im IT-Sektor“ sowie die Steigerung der Arbeitsproduktivität zusammen mit der Einführung von Industrie 4.0-Technologien.

GTAI-Newsletter, 14.01.19