Deutsche Produkte genießen in Lateinamerika einen guten Ruf. Die Zusammenarbeit mit deutschen Firmen eigentlich auch. Die würde allerdings mit ein bisschen kulturellem Handwerkszeug im Gepäck, sehr viel intensiver und erfolgreicher sein.

Latein-amerika-Expertin Alexandra Metzger gibt Tipps zum Umgang – speziell auch in Corona-Zeiten:

Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschen und Lateinamerika sind traditionell eng. Viele deutsche Unternehmen kooperieren schon lange Zeit mit lateinamerikanischen Partnern oder unterhalten Tochtergesellschaften in den Ländern. Mexiko, Brasilien, Kolumbien, Peru oder Chile sind beliebt, aber auch wenn man durch die Straßen von Uruguay, Paraguay oder Kuba streift, wird man zahlreiche deutsche Produkte in den lokalen Supermärkten finden, Maschinen deutscher Hersteller auf Baustellen entdecken und bekannte deutsche Marken auf Anzeigetafeln bemerken. Deutsche Produkte genießen in Lateinamerika gemeinhin eine hohe Wertschätzung – stehen hier immer noch für Qualität und Zuverlässigkeit.

Dennoch kommt es in der Zusammenarbeit zwischen deutschen und lateinamerikanischen Unternehmen immer wieder zu Missverständnissen. Und diese sind nicht selten kulturell bedingt, wie Alexandra Metzger, alma hispano-dialog, weiß.

„Warum mañana nicht morgen heißt“… oder „Wie Sie erfolgreich mit Kollegen und Geschäftspartnern in Lateinamerika zusammenarbeiten“, so titelt der geplante Workshop, Frau Metzger. Nun besteht Lateinamerika aber aus 20 verschiedenen Ländern und damit variieren Bräuche und Traditionen natürlich auch zwischen den Ländern ….

„Selbstverständlich sollte man die Länder Lateinamerikas nicht über einen Kamm scheren Die Länder liegen in Nord-, Mittel- und Südamerika und sind damit allein geografisch betrachtet unterschiedlich. Auch was Wirtschaftskraft, Industrien, Bevölkerung oder politische Entwicklungen angeht, bestehen Unterschiede. Dennoch sind die Bande zwischen den Ländern natürlich sehr viel enger als sie es zu Deutschland sind. Man findet nämlich auch viele Gemeinsamkeiten: Die spanische Sprache zum Beispiel, die in den meisten der Länder gesprochen wird. Oder ähnliche Umgangsformen. Vielleicht küsst man in dem einen Land drei Mal und in dem anderen nur einmal – aber der Besos zur Begrüßung und die generelle Nähe in Unterhaltung ist in Lateinamerika doch allgegenwärtig.“

Wo machen sich die Unterschiede zwischen lateinamerikanischer und deutscher Kultur im Geschäftsalltag denn am stärksten bemerkbar?

„Ich meine, beim Stellenwert von persönlichen Beziehungen. Eine oft so strikte Trennung von Privatem und Beruflichen, wie wir sie in Deutschland so oft erleben, gibt es in Lateinamerika nicht. Hier gehört Privates in das Geschäft. Persönliche Geschichten, Gemeinsamkeiten & Co. – damit holen deutsche Unternehmer sich in Lateinamerika Sympathien und vor allem Vertrauen. Viel eher als sie es durch ihre fachliche Expertise oder fundierte Analysen erreichen könnten. In Lateinamerika macht man Geschäfte mit Herz und Seele. Mein Tipp für alle Deutschen, die gerne schnell zur Tagesordnung und den konkreten Themen übergehen: Nehmen Sie sich Zeit für das Kennenlernen und pflegen Sie Ihre Beziehungen.

Aber auch die Kommunikation läuft in Lateinamerika deutlich anders ab als hierzulande. Gerade, wenn es um Schwierigkeiten oder negative Botschaften geht. Die kann ein Lateinamerikaner zwischen den Zeilen so gut verpacken, dass der Deutsche es überhaupt nicht mitbekommt. Das ist natürlich fatal, wenn es dann irgendwann richtig knallt.

Die Entscheidungswege in Lateinamerika funktionieren auch oft ganz anders als in Deutschland. Sehr hierarchisch nämlich. Ein Beispiel: In Deutschland hat man als Mitarbeiter in der Regel einen fachlichen Entscheidungsspielraum. Im Rahmen gewisser Grenzen kann man selbst Dinge vorantreiben, entscheiden oder regeln. In Lateinamerika ist das oft nicht der Fall. In eigentümergeführten Unternehmen kommt es sogar vor, dass selbst leitende Angestellte mit der Geschäftsführung Rücksprache halten müssen, wenn es um Entscheidungen geht.“

Frau Metzger, Sie beraten viele deutsche und lateinamerikanische Unternehmen, die grenzüberschreitend in Teams zusammenarbeiten. Welche Herausforderungen oder auch Missverständnisse erleben Sie in diesen Projekten immer wieder?

„Das Übel vieler Missverständnisse sind die unterschiedlichen Kommunikationsstile zwischen Deutschen und Leitamerikanern. Verbindlichkeit wird in Lateinamerika anders erzeugt als in Deutschland und auch Dringlichkeit wird auf andere Art und Weise signalisiert. Nämlich nicht schriftlich per Mail mit Fristen, sondern im persönlichen Gespräch. Also mein Tipp – eine E-Mail mit gleichzeitigem Anruf, um persönlich die Dringlichkeit zu unterstreichen. Auch hier gilt: Ein gutes Verhältnis wird Themen priorisieren.

Ein anderer grundlegender Unterscheid ist der Fokus von Gesprächen: In Deutschland finden oft Gespräche statt, wenn es Fehler gibt. Der Fokus liegt auf dem, was nicht funktioniert. Für die Zusammenarbeit mit Lateinamerikanern ist es wichtig, positive Dinge in den Vordergrund zu stellen und sehr viel Lob auszusprechen. Öfters erlebe ich auch, dass deutsche Firmen die lateinamerikanischen Partner eher als „Juniorpartner“ verstehen, dem sie etwas beibringen können, also der von den deutschen Methoden lernen kann. Das ist wenig hilfreich und übrigens oft auch ein Trugschluss. In Lateinamerika findet man sehr innovative Unternehmen, die neueste Technologien einsetzen und sehr gut ausgebildete Mitarbeiter haben.

Auch das Verständnis der eigenen Rolle im Team ist grenzüberschreitend oft unterschiedlich. Entscheidungen, die in Deutschland das einzelne Teammitglied trifft, werden in Lateinamerika oft nur von Vorgesetzten getroffen.

Aber natürlich spielt auch ganz praktisch die Zeitverschiebung oft eine Rolle und verhindert, dass Teammitglieder miteinander mündlich kommunizieren können und gleich eine Antwort auf eine dringende Frage bekommen.“

Unterhaltungen mit Lateinamerikanern werden von Deutschen in der Regel oft als recht charmant und leicht empfunden. Wird in Lateinamerika auf Förmlichkeit und Hierarchien weniger wert gelegt als in Deutschland? Oder täuscht dieser Eindruck?

„Diese Empfindung kann ich gut nachvollziehen. Unterhalten kann man sich mit Lateineramerikanern meistens gut. Manchmal geht es bei einem ersten Treffen noch etwas förmlicher zu. Das erleben hiesige Unternehmen durchaus in Gesprächen mit den doch teilweise sehr patriarchisch geführten traditionellen Unternehmen in Lateinamerika. Für Lateinamerikaner spielen Status und Hierarchien einfach eine große Rolle. Dennoch – da der Lateinamerikaner nun mal die Meinung vertritt, dass Sympathien unabdingbar für erfolgreiche Geschäfte sind, wird man sich schnell in einem generell viel lockeren Umgang wiederfinden, als dies in Deutschland der Fall ist.“

In deutschen Kreisen lächelt man inzwischen schon oft über das „mañana“ der Lateinamerikaner. Ebenso wie man über ihre Pünktlichkeit witzelt.

„Ja. Das hört man oft. Aber dass „mañana“ morgen – also in maximal 24 Stunden – heißt, ist eine Fehlinterpretation aus deutscher Brille. Wenn man weiß, wie man in Lateinamerika Commitment erzeugt, Dringlichkeit ausdrückt und Hierarchien einbindet, wird man feststellen, dass man selten mit Problemen bei der Pünktlichkeit zu kämpfen hat.“

Im Moment sind berufliche Reisen nach Lateinamerika sehr schwer. Wie können geschäftliche Beziehungen in diesen Zeiten aufgebaut und gepflegt werden, wenn die persönliche Komponente in Lateinamerika eine so große Rolle spielt?

„Leider sind die Länder Lateinamerikas wirklich schwer von der Corona-Pandemie betroffen. In einigen Ländern Lateinamerikas gab oder gibt es massive von Polizei und Militär durchgesetzte Beschränkungen. Viele Unternehmen sind immer noch geschlossen. Umso wichtiger finde ich es, dass deutsche Unternehmen ihren Geschäftspartnern und Kollegen signalisieren, dass sie sich für den Partner interessieren. Auch wenn derzeit keine Geschäfte laufen. Also zeigen Sie Geduld und Verständnis, wenn es derzeit etwas länger dauert als üblich. Und melden Sie sich auch ohne beruflichen Anlass. Statt langen E-Mails empfehle ich kurze Chats oder Telefonate, um zwischendurch „hallo“ zu sagen oder Web Calls, in denen man sich sieht. Lateinamerikaner bevorzugen mündliche und unmittelbare Kommunikation. Und sie werden es wertschätzen.“

Frau Metzger, Sie sind ein großer Lateinamerika-Fan! Was schätzen Sie am meisten?

„Ich schätze die Offenheit, mit der man in Lateinamerika bei neuen Begegnungen auf andere zugeht und neue Gruppenmitglieder sofort integriert. Viele Menschen in Lateinamerika haben auch in schwierigen Zeiten stets den Blick für das Positive.“

Newsletter der IHK Hannover, 21.08.20