Das wirtschaftliche Engagement deutscher Betriebe in Lateinamerika und der Karibik bleibt weit hinter dem Möglichen zurück, wie eine Studie von McKinsey kürzlich herausfand. Deutsche Betriebe verpassen hier große Chancen. Welche genau und mit welchen Strategien sie deutsche Unternehmen heben können.

In Lateinamerika und der Karibik gibt es für deutsche Betriebe eigentlich viel Geschäft. Gutes Geschäft. Gewinne, die deutlich höher ausfallen, als in vielen anderen Regionen, die mit hohen Wachstumsraten aufwarten. Dennoch bleibt das gegenwärtige Engagement deutscher Unternehmen in der Region weit hinter seinem Potenzial zurück, wie Untersuchungen des Lateinamerika-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft (LADW) und McKinsey ergeben. Der unter dem Titel „CEO Agenda für die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Lateinamerika“ veröffentlichte Bericht zeigt im Detail wie es um das derzeitige wirtschaftliche Engagement Deutschlands in Lateinamerika und der Karibik steht, welche Chancen die Region deutschen Unternehmen bietet und welche Strategien und Erfolgsfaktoren helfen können, nicht nur in der Region zu bestehen sondern dort auch nachhaltig profitables Geschäft zu generieren.

Deutsche Unternehmen verpassen große Chancen

Das gegenwärtige wirtschaftliche Engagement deutscher Unternehmen in Lateinamerika und der Karibik bleibt weit hinter dem Möglichen. Dies ist unverständlich, wenn man auf die Erfolge blickt, die deutsche Betriebe seit Jahrzehnten in der Region erzielen. Dies ist bedauerlich, wenn man bedenkt, dass deutsche Betriebe grundsätzlich auf der Pole-Position stehen, wenn es um Geschäfte mit Lateinamerika geht. Und dies ist fast schon fahrlässig, wenn man das Engagement anderer Nationen in der Region beobachtet. Das Engagement der USA. Aber auch vor allem das Interesse chinesischer Unternehmen.

China stellt inzwischen für vier der sechs größten lateinamerikanischen Wirtschaften den wichtigsten Handelspartner. Um Rohstoffe geht es hier schon längst nicht mehr. Die Handelsbeziehungen zwischen Lateinamerika und China gewinnen an Tiefe und Nachhaltigkeit; konzentrieren sich auf alternative Energien, Technologieentwicklungen, Finanzen und Verkehr. Wirtschaftsbereiche, in denen deutsche Unternehmen über erstklassige Produkte und großes Know-how verfügen. Felder, in denen sie mehr als konkurrenzfähig sein könnten. Es geht aber nicht nur um die Rivalität aus Fernost. Auch im Vergleich mit Spanien, den Niederlanden, Italien oder Großbritannien hinkt Deutschlands Engagement auf dem Kontinent deutlich hinter her.

Mit Unsicherheiten leben

Es stimmt. Im Geschäft mit Lateinamerika und der Karibik müssen deutsche Betriebe mit Unsicherheiten leben. Prognosen und Konjunktur sind ein ständiges Auf und Ab. So war der Hype um Argentiniens Rückkehr nach der Wahl Mauricio Macris im Dezember 2015 leider nur von kurzer Dauer, Brasiliens Wachstumsraten wurden kürzlich wieder einmal nach unten korrigiert, in Chile sind Proteste inzwischen an der Tagesordnung und in Ecuador, Bolivien und Kolumbien hält man aufgrund der leeren oder falschen Versprechungen der Staatshäuser auch nicht mehr die Füße still. In Venezuela haben hingegen inzwischen fast fünf Millionen Einheimische das Weite gesucht. Makroökonomische Instabilität, Krisen, Regierungs- und Paradigmenwechsel – in Lateinamerika gehören Unsicherheiten wie diese fraglos zum Geschäfte machen dazu. Aber dies ist auch in anderen Entwicklungs- und Schwellenländern der Fall und sollte deutsche Betriebe nicht von einem Engagement in der Region abhalten. Deutschland hat mit zahlreichen Ländern Abkommen geschlossen, die Investitionen deutscher Unternehmen vor Ort schützen. Und mit Produkten wie den Hermesdeckungen oder Investitionsgarantien des Bundes lassen sich viele Risiken kalkulieren.

Von allerhand Chancen

Vielleicht sind die Wachstumsraten in Lateinamerika und der Karibik nicht so hoch wie in anderen Entwicklungs- und Schwellenländern. Die Gewinne, die Unternehmen in der Region hier aber erzielen können, sind dafür umso höher, wie die Studie von LADW und McKinsey herausfand. Hinzu kommt, dass viele lateinamerikanische Regierungen in diesen Tagen härter als je zuvor an der Stimulierung ihrer Wirtschaft arbeiten. Reformen werden auf den Weg gebracht – sollen Privatisierungsmaßnahmen unterstützen, Unternehmertum fördern und den Bürokratieabbau vorantreiben. Allen ist bewusst, dass Arbeitsproduktivität und wirtschaftliche Diversifizierung vorangetrieben werden müssen. Und sie treiben sie voran – mit ihren Möglichkeiten.

  • Im Bergbau sowie Öl- und Gassektor, in denen bisher große und oft ineffiziente staatliche Unternehmen den Ton angeben, zeichnen sich zunehmend Privatisierungen ab. Für deutsche Betriebe, die weltweit führend im Export von Prozesstechnologien sind, eröffnen sich hier neue Betätigungsfelder.
  • Erneuerbare Energien? Werden in Lateinamerika wirklich groß geschrieben. Ihr Anteil liegt mit 27 Prozent bereits weit über dem globalen Durchschnitt von 18 Prozent. Allein in den letzten fünf Jahren beliefen sich die Investitionen in erneuerbare Energien in wichtigen Märkten wie Brasilien, Chile und Mexiko auf über 50 Milliarden US-Dollar. Investiert haben auch deutsche Unternehmen – Erstausrüster für Windanlagen oder Lieferanten mit ausgezeichneten Kenntnissen in der Installation, Betrieb, Wartung und Netzinfrastruktur.
  • Im Transportwesen haben deutsche Unternehmen wie Daimler oder Traton bereits ihre Fußspuren auf dem lateinamerikanischen Markt hinterlassen. Aber hier geht noch was – insbesondere für Unternehmen, die in der Digitalisierung von Transport- und Logistiksystemen unterwegs sind. Denn hier gibt es große Defizite in der Region. Und diese müssen geschlossen werden, wenn man auf die Liste der zahlreichen Mega-Projekte blickt, die viele Länder in den nächsten fünfzehn Jahren tätigen werden.
  • Automatisierung und Digitalisierung ist in lateinamerikanischen Produktionsbetrieben ein großes Thema. Industrie 4.0 ist auch hier in aller Munde.
  • Viel Wachstum verspricht das Gesundheitswesen, insbesondere der Bereich der digitalen Gesundheitsdienste. In Märkten wie Argentinien und Peru lag es durchschnittlich bei über 4 Prozent im Jahr; in Chile und Kolumbien sollte es in den nächsten 15 Jahren nachholen und ähnliche Wachstumsraten aufweisen.
  • 3,9 Prozent in Peru, 2,6 Prozent in Kolumbien, 2,5 Prozent in Brasilien und 2,2 Prozent in Argentinien – auf das Wachstum im Agrarsektor war in den letzten sieben Jahren Verlass. Hochmoderne Technologien sind in Lateinamerika keine Seltenheit – in Brasilien oder Argentinien kreisen Drohnenflotten über die Felder und Roboter, während das Saatgut von Robotern ausgebracht wird. Hier gibt es viel Potenzial – gerade für deutsche Unternehmen.

Die Agenda für CEOs – drei Strategien, fünf Erfolgspunkte

1. B2C-Strategie

Der demographische Wandel macht auch in Lateinamerika und der Karibik nicht halt. Es gibt weniger Geburten. Mit der Notwendigkeit für große Verbesserung in der Arbeitsproduktivität. Es gibt mehr Alte. Mit einem höheren Bedarf an medizinischen Leistungen. Und obwohl die Einkommensunterschiede immer noch sehr hoch sind, gibt es eine größere konsumierende Mittelschicht. Die digital übrigens affiner ist als der größte Teil der restlichen Weltbevölkerung. Deswegen ist das Potenzial für die Einführung von Smart Home in Brasilien zum Beispiel auch viel höher als in vielen Industrieländern. Das alles sollten Unternehmen, die sich in der Region bewegen wollen, bedenken.

2. B2B-Strategie

Man sagt, dass die Produktivität in Lateinamerika und der Region etwa 20 Prozent der deutschen und 17 Prozent der US-amerikanischen Produktivität ausmache – das ist wenig. Viel zu wenig. Was auch den lokalen Regierungen klar ist, so dass die Verbesserung dieses Schnitts für alle Regionen zu den wichtigsten Zielen gehört. Über alle Branchen hinweg übrigens. Gelingen kann das, denn trotz verbreiteter Armut besitzt die Region über die höchste Vernetzung für Internet und IoT-Lösungen. Daran sollten deutsche Betriebe denken.

3. Export-Strategie

Die Produktionskosten in Lateinamerika und der Karibik sind 80 Prozent geringer als in Deutschland. Über natürliche Ressourcen verfügt die Region – teilweise sogar im Überfluss. Davon können deutsche Unternehmen profitieren – auch, um aus dieser Region geographische nähere Märkte wie die USA zu beliefern.

Basierend auf Interviews mit deutschen CEOs und Experten listen die Autoren der Studie, fünf Faktoren, die für den Erfolg deutscher Betriebe in der Region von Bedeutung sein können:

1.    Anpassung der Produkte und Dienstleistungen auf den lokalen Markt

2.    Marktkenntnis und eine langfristige Perspektive

3.    Netzwerk mit lokalen Unternehmen und Entscheidungsträgern

4.    Ausbildung und Förderung lokaler Mitarbeiter

5.    „Deutsche“ Wettbewerbsvorteile spielen

Auch für die Politik halten die Autoren der Studie Empfehlungen parat. Eine klare und nachhaltige Lateinamerika-Agenda, die das Unternehmertum in der Region erleichtert und fördert, auf Aus- und Weiterbildung lokaler Fachkräfte setzt und im Dialog gemeinsame Projekte initiiert, der den Bedarfen der Region Rechnung trägt.

Newsletter der IHK Hannover, 11.02.20