Die Verschmelzung der IT-Welt mit der klassischen Automatisierungstechnik ist nicht nur in Deutschland unter dem Begriff "Industrie 4.0" ein gewichtiges Thema. Die Entwicklung vollautomatisierter, auf dem Internet basierender Fabriken steht auch bei Industrieunternehmen in den USA hoch im Kurs, vor allem unter dem Begriff "Industrial Internet of Things".
Die Fabrik der Zukunft soll eine "Smart Factory" sein, in der sich alle Produkte zu jedem Zeitpunkt nachverfolgen lassen. Dafür müssen unter anderem komplexe Systeme und Maschinen mit Hilfe von Sensoren und Software vernetzt werden. Das Fernziel ist dabei, in den Fabriken alle relevanten Anlagen und Teile durchgängig vertikal und horizontal zu vernetzen. Die gewonnenen Daten bergen vielfältige Möglichkeiten, Prozesse und Anlagen intelligenter zu analysieren und aktiv zu steuern. Stark individualisierbare Produkte sollen im Zuge einer sich dynamisch organisierenden Fertigung zum Standard werden.
Gute Rahmenbedingungen im Land
In den USA bestehen laut Marktexperten gute Chancen, diese industrielle "Revolution" mittelfristig umzusetzen. Gemäß dem "Monitoring-Report Wirtschaft DIGITAL 2015" des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie sind die USA in Bezug auf die digitale Wirtschaft (IKT-Branche und Internetwirtschaft) das Land mit den weltweit besten Rahmenbedingungen. Bewertet wurden unter anderem die Stellung der digitalen Wirtschaft auf den Weltmärkten, die technische Infrastruktur und die Nutzungsintensität digitaler Technologien. Der Managementberater Accenture kommt in einer ähnlichen Untersuchung von 2015 zu dem Schluss, dass die USA weltweit die größten Potenziale haben, Lösungen des "Industrial Internet" zu implementieren.
Das Know-how von US-Unternehemen im Bereich technischer Software bringt das Land in eine gute Position, die Entwicklung entscheidend voranzubringen, berichtet Dr. Patrick Bressler, Executive Vice President of Fraunhofer USA. Hinzu kämen die Möglichkeiten der Technolgiefirmen um Google, riesige Mengen an Daten zu verarbeiten. Für das verarbeitende Gewerbe in den USA wären Effizienzgewinne im Zuge von Lösungen des "Industrial Internet" von entscheidender Bedeutung, um als Produktionsstandort an Attraktivität zu gewinnen, so Bressler.
Derweil erhoffen sich renommierte Technologieunternehmen in einzelnen Industriesparten neue Märkte. In den verschiedensten Marktsegmenten bieten der Elektrokonzern General Electric (GE) und andere bedeutende Player in einem rasanten Tempo neue, vernetzte Hightech-Lösungen an. Im Jahr 2014 hat GE mit dem Modell "2.5-120" eine der weltweit ersten Windenergieanlagen entwickelt, die sich die Möglichkeiten des "Industrial Internet" zunutze macht. Die Turbine analysiert jede Sekunde zehntausende Datenpunkte, verfügt über einen Energiespeicher, eine intelligente Steuerung und Vorhersage-Algorithmen. Die Windenergieanlage kommuniziert konstant mit benachbarten Anlagen, Wartungstechnikern und Kunden.
IIC und Plattform Industrie 4.0 kooperieren
Der Telekommunikationsriese AT&T, Netzausrüster Cisco, GE, IT-Urgestein IBM und Chipgigant Intel gründeten Anfang 2014 das "Industrial Internet Consortium" (IIC). Mittlerweile sind dem IIC mehr als 250 Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Universitäten beigetreten, darunter Bosch, SAP und Siemens. Ein Ziel der Mitglieder besteht darin, Anwendungsszenarien und Demonstrations-Testfelder für die Verbindung von physischer und digitaler Welt auf den Weg zu bringen.
Im März 2016 erklärten die in Deutschland ansässige Plattform Industrie 4.0 und das IIC, in Zukunft intensiver zusammenarbeiten zu wollen. Während sich die Plattform Industrie 4.0 auf die technischen Rahmenbedingungen der vernetzten Produktion konzentriert, arbeitet das IIC an der Standardisierung von B2B-Prozessen, beispielsweise des Gebäude- und Energiemanagements. Es umfasst dabei branchenübergreifende Aspekte etwa zu Transport, Energie oder Gesundheitswesen.
Beide Organisationen arbeiten daher insgesamt an komplementären Fragestellungen. Zu den Zielen der Kooperation gehört die Zusammenführung der beiden Referenzarchitekturen, um eine Interoperabilität zwischen den Systemen zu ermöglichen, sagt Jennifer Bennett, General Manager for GE Digital’s Manufacturing Software Initiatives. IIC und Plattform 4.0 arbeiten auch bei der Standardisierung zusammen und dabei, gemeinsame wissenschaftliche Plattformen für Experimente oder die Forschung zu entwickeln und zu nutzen. Mit der Kooperation zwischen den beiden Initiativen dürfte man laut Marktexperten dem Ziel deutlich näher kommen, globale Standardisierungslösungen zu entwickeln.
Die US-Regierung forciert die Entwicklung innovativer Fertigungsmethoden mit finanziellen Mitteln für die Errichtung von Innovationszentren auf Basis von Public-Private-Partnerships. Im Februar 2014 erhielt Chicago den Zuschlag für ein Institut zur digitalen Fertigung. Das "Digital Manufacturing and Design Innovation Institute" beschäftigt sich mit dem Management von digitalen Daten, die zwischen Maschinenbau-, Fertigungs- und Wartungssystemen ausgetauscht werden. Zum DMDII-Netzwerk gehören über 70 Unternehmen, Universitäten und Forschungseinrichtungen.
Auf dem Weg zu "Smart Factories" sind diverse Technologien gefragt
In den USA setzen Unternehmen im Energie- und im Chemiesektor erste "Industrial Internet"-Lösungen zur umfangreichen Vernetzung ihrer Produktionsprozesse ein. Dies berichtet Edy Liongosari, Managing Director der Accenture Technology Labs. Auch in der hochautomatisierten US-Nahrungs- und Getränkeindustrie sowie im Elektronik- und im Biotechnologiesektor ist eine hohe Nachfrage zu verzeichnen, sagt Jennifer Bennett von GE. In Industrien wie der Öl- und Gasbranche, in der sich über die Verbesserung der Anlageneffizienz mit "Industrial Internet"-Lösungen umfangreiche Kapitalinvestitionen reduzieren lassen, zeichne sich generell ein hoher Bedarf ab. Die durchgängige Vernetzung in Werken ist allerdings noch Zukunftsmusik.
Zahlreiche Industrieunternehmen treiben die Effizienz von Fertigungsprozessen mit Technologien voran, die Bausteine für den Weg zu "Smart Factories" sind. In der Industrie geht ein Trend zum "Lights out Machining", so Edy Liongosari. Darunter wird der Einsatz der Maschinen rund um die Uhr verstanden, auch ohne überwachendes Personal. Daraus resultiert eine verstärkte Nutzung von Robotern in Produktionsprozessen, unter anderem in der Automobil- und der Luftfahrtindustrie. Nach Angaben der Robotic Industries Association stiegen 2015 die wertmäßigen Bestellungen von Industrierobotern in den USA um 2,9% auf 1,4 Mrd. US$. Für 2016 erwartet der Branchenverband einen Zuwachs zwischen 7 und 9%.
Steigende Einsatzmöglichkeiten für kollaborierende Roboter
Roboterhersteller bringen immer neue Hochgeschwindigkeitsroboter mit innovativen Lösungen in Form von Schnittstellen, Steuerungen und Software auf den Markt, um den Bedarf zu bedienen. Ein vielversprechendes Nachfragepotenzial besteht Experten zufolge beim Einsatz von Roboterarmen, die automatisiert und "intelligent" Werkstücke aus ungeordneten Transportbehältnissen entnehmen und positionieren ("bin packing").
Bei der Forschung zur Weiterentwicklung der Robotertechnik liegt der Fokus auf kollaborierenden Robotern. Diese sind dank hochempfindlicher Softwarekomponenten und intelligenter Steuerungssysteme so ausgelegt, dass Mensch und Maschine zusammen, quasi Hand in Hand, arbeiten können. BMW beispielsweise setzt derartige Maschinen bei der Türenmontage in seinem Werk in Spartanburg (South Carolina) ein. In den letzten Jahren haben Roboterhersteller auf diesem Gebiet erhebliche Fortschritte bezüglich Effizienz und Sicherheit erzielt, berichtet Edy Liongosari.
Bei der Modernisierung der Maschinenparks ist "Data Driven Manufacturing" ein zentrales Schlagwort. Maschinen werden zunehmend mit ausgefeilter Software ausgestattet, um Prozess- und Produktionsdaten kontinuierlich in Echtzeit erfassen und analysieren zu können, berichtet GE-Managerin Bennett. Vermehrt gewinnt der offene, lizenzfreie Kommunikationsstandard "MTConnect" an Relevanz, so die Marktexpertin. Es sei zu beobachten, dass immer mehr Industrieunternehmen auf diese Schnittstellentechnik setzen, um die Kommunikationsfähigkeit ihrer Maschinenparks und Anlagen auszubauen.
Maschinen oft zu alt für die Vernetzung
Ein Bremsblock bei den Bemühungen, die Fertigung in den USA auf breiter Ebene zu automatisieren und zu vernetzen, dürfte das relativ hohe Alter der Maschinenparks zahlreicher kleiner und mittelgroßer Unternehmen sein, sagt Fraunhofer-Vertreter Bressler. Eine Kompatibilität dieser Maschinen- und Anlagenparks mit den digitalen Lösungen sei oftmals nicht gegeben. Das Durchschnittsalter des industriellen Anlagenbestands belief sich nach aktuellsten Angaben der Association for Manufacturing Technology Ende 2014 auf 22 Jahre – so hoch wie noch nie zuvor. Ein weiteres Problem ist der Fachkräftemangel, ergänzt Bressler. Den USA fehle es an einem ausreichenden Pool an Arbeitskräften, die dank entsprechender Ausbildung in komplexere Produktionsprozesse eingebunden werden könnten.
Internetadressen:
Industrial Internet Consortium (IIC)
Internet: http://www.iiconsortium.org
Smart Manufacturing Leadership Coalition
Internet: https://smartmanufacturingcoalition.org
Robotic Industries Association
Internet: http://www.robotics.org
Fraunhofer USA
Internet: http://www.fraunhofer.org
Newsletter der IHK Köln, 25.03.16