Aus Brasilien gibt es derzeit viele Neuigkeiten. Es gibt einen neuen Präsidenten. Wir haben bei Ricardo Castanho, AHK São Paulo nachgefragt – zum Präsidenten, der Wirtschaftspolitik und den Chancen für deutsche Unternehmen im Land.

1. Brasilien hat gewählt. Mit Beginn des neuen Jahres wird ein Neuer das höchste Amt in Brasilien innehaben: Jair Messias Bolsonaro, heißt der designierte Präsident der größten Volkswirtschaft Lateinamerikas. Als „Tropen-Trump“ wandelt Bolsonaro durch die hiesige Medienlandschaft. Was aber schreibt man in Brasilien über ihn?

Jair Bolsonaro ist im Wahlkampf mit teilweise sehr polemischen Aussagen aufgefallen. Daher sicherlich auch der Vergleich mit Donald Trump. Und auch Bolsonaros Kampagne wurde hauptsächlich über die sozialen Medien geführt. Mit seinen Äußerungen gegenüber den linksorientierten Parteien und deren Programmen gewann er viele Fans. Hier in Brasilien wird er sehr kontrovers diskutiert. Für einige ist er ein Held. Andere prophezeien mit ihm den Untergang der brasilianischen Demokratie. Momentan wird viel spekuliert. Zu viel. Was er ist oder nicht und welchen Kurs seine Regierung einschlagen wird, werden wir nächstes Jahr sehen.

 

2. Bolsonaro hat in der Stichwahl gegen Haddad deutlich gewonnen. Ergo: Er konnte die Mehrheit der Brasilianer überzeugen. Wie?

Bolsonaro war einer der ersten Kandidaten, der dem Thema „öffentliche Sicherheit“ Priorität gegeben hat. Den Brasilianern ist die Verbesserung der Sicherheitslage seit Jahren sehr wichtig, was die Politik bisher aber nicht ernsthaft verfolgt hat. Überzeugend waren aber auch seine Versprechungen zur Liberalisierung der Wirtschaft, Bürokratieabbau und damit einhergehende Produktivitätssteigerungen sowie die Vereinfachung des brasilianischen Steuersystems. Dennoch sollte man eines nicht außer Acht lassen: Es war auch eine Entscheidung gegen Fernando Haddad und allem was er vertritt. Damit hat Bolsonaro sicherlich viele Stimmen bekommen.

 

3. Bolsonaro hat kurz nach Amtsantritt verkündet, dass er das „Schicksal Brasilien verändern werde“. Kann er das? Wo müsste er ansetzen, um Brasilien wieder auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zu führen?

Mit einer präsentable Regierungspolitik und nachhaltigen Wirtschaftsprogrammen könnte jeder Präsident das. Wir hoffen, dass Bolsonaros Team hier ansetzt. Er hat einen Liberalen als „Superwirtschaftsminister“ in das Amt gebracht. Mit dieser Aktion bleibt er auf Linie seiner Versprechungen.

 

4. Zur Wirtschaft: Deutsche Unternehmen pflegen traditionell sehr gute Geschäftsbeziehungen mit Brasilien. Können Sie sagen, wie viele deutsche Unternehmen in São Paulo mit einer Niederlassung oder einem Vertriebsbüro vertreten sind und aus welchen Branchen sie hauptsächlich stammen?

Wir schätzen, dass etwa 1000 deutsche Unternehmen mit eigenem Standort im Großraum São Paulo vertreten sind. Das ist ziemlich viel für einen so kleinen Teil Brasiliens. Aus welchen Branchen? Die Automobilindustrie natürlich, OEMs und Zulieferer. Chemie und Pharmaindustrie, Maschinenbauer, Dienstleister aus ganz unterschiedlichen Bereichen und auch viele Banken.

 

5. Wie hat die AHK São Paulo die letzten wirtschaftlich eher trüben Jahre nach dem großen Hype um Brasilien erlebt? Haben deutsche Unternehmen sich tatsächlich aus dem Markt zurückgezogen oder denken die, die vor Ort sind, dass „Ups and Downs“ zu Brasilien einfach dazugehören und dass der Markt es wert ist, vor Ort zu bleiben?

Die in Brasilien ansässigen deutschen Unternehmen wissen sehr gut um die „Ups and Downs“ der brasilianischen Wirtschaftsgeschichte. Deswegen haben viele einen langfristigen Plan in Brasilien, bleiben im Markt und sind weiterhin von Potenzial und Möglichkeiten überzeugt. Manche haben sich sogar inmitten der tiefsten Krise an brasilianischen Unternehmen beteiligt. Die Preise waren gut… Dennoch mussten viele deutsche Unternehmer in der letzten Zeit hier wirklich die Zähne zusammenbeißen. Auch sie haben den finanziellen Druck gespürt. Wir sind aber zuversichtlich, dass deutsche Unternehmen auf dem brasilianischen Markt weiterhin sehr erfolgreich sein können.

 

6. Welche Chancen sehen Sie aktuell für deutsche Unternehmen vor Ort? Und: Ist es jetzt ein guter Zeitpunkt in den Markt einzusteigen? Oder sollte man abwarten, wie Brasilien sich unter dem neuen Präsidenten entwickelt?

Ich persönlich bin der Meinung, dass Unternehmen, die noch keine Erfahrung mit dem brasilianischen Markt gemacht haben, sich mit dem Markt vertraut machen sollen – ganz unabhängig von einem neuen Präsidenten. Jetzt ist eine gute Zeit für die Vorbereitung eines Markteintritts. Man kann die ersten Schritte der neuen Regierung abwarten und gleichzeitig diese Zeit nutzen, sich über den Markt und mögliche Einstiegsstrategien zu informieren. Brasilien freut sich auf eine neue Zeit. Auf eine Zeit in der Wirtschaft und Geschäfte unabhängig von der Politik einfach laufen können. Für große Investitionen spielen natürlich andere Faktoren eine wichtige Rolle. Hier ist eine vorrausschauende Planung notwendig und empfehlenswert.

 

7. Herr Castanho, Sie haben schon unheimlich viele Unternehmen in und auf den brasilianischen Markt begleitet und viele Erfahrungen gesammelt. Deutsche Produkte in Brasilien: Wie steht es um unser Qualitätssiegel „Made in Germany“? Wird es in Brasilien geschätzt? Und: Mit welchen anderen Argumenten können deutsche Unternehmen im Wettbewerb mit Konkurrenten punkten?

„Made in Germany“ genießt in Brasilien definitiv einen hohen Stellenwert. Aber es ist keine Garantie, also kein Totschlagargument. Brasilianische Kunden verbinden Deutschland mit hoher Qualität – aber auch mit sehr hohen Preisen. Das Preis-Leistungs-Verhältnis muss passen. Vielleicht ist auch eine Anpassung an das Geschäftsmodell notwendig, flexibler Service.

 

8. Welche Fehler, Probleme oder falsche Einschätzungen haben Sie wiederholt gesehen? Wofür würden sie deutsche Unternehmen sensibilisieren wollen?

Wir sehen immer wieder Unternehmen, die ohne wirksame Verträge Partnerschaften mit brasilianischen Unternehmen eingehen. Um mögliche Kopfschmerzen zu vermeiden, empfehlen wir eine gute Vorbereitung und die Beratung von Experten – bei jeglichem Geschäft mit Brasilien. Dann kann es in Brasilien sehr gut laufen. Das Thema Zoll ist auch nicht ganz ohne Problematiken. Deutsche Betriebe brauchen Experten oder Partner in Brasilien für einen erfolgreichen Import. Die Formalitäten rund um das Prozedere, die Dokumente, die Steuern, … das ist alles nicht ohne. Hier ist man wirklich auf Know-how angewiesen. In Brasilien läuft es anders als im Rest der Welt. Und noch eins: Wenn Unternehmer einen Partner suchen, dann sollten sie auch wirklich suchen. Ein möglicher Partner, der Ihnen auf der Messe die Welt versprochen hat, ist nicht genug. Gehen Sie raus, treffen Sie sich mit vielen Kandidaten, sprechen Sie mit den Brasilianern. Die AHK São Paulo kann Unternehmen hier sehr gut unterstützen.

 

9. Und die Kultur wollen wir auch nicht vergessen: Worauf sollte man sich einstellen, wenn man mit Brasilianern Geschäfte macht? Was sind wohl die größten Unterschiede zwischen Deutschen und Brasilianern?

Sicherlich gibt es Kulturunterschiede zwischen Deutschland und Brasilien. Aber erfahrungsgemäß verstehen Brasilianer und Deutsche sich sehr gut. In Gesprächen sollte man sich darauf einstellen, dass Produktdetails oder Konditionen einer Partnerschaft erst einmal nicht so relevant sind. Small Talk ist viel wichtiger als in Deutschland. Es geht um ein Kennenlernen. Hat man gemeinsame Punkte? Kann sich eine Geschäftsbeziehung entwickeln? Ein „Nein“ ist in Brasilien manchmal kein „Nein“ – ein „Ja“ kein „Ja“. Auch das muss man wissen. Die deutsche Direktheit wird in Brasilien oft als unhöflich empfunden. In Brasilien braucht man Zeit. Und pünktlich sollten Sie übrigens immer zu Terminen erscheinen. Denn das erwarten die Brasilianer von den Deutschen. Auch wenn sie selbst oftmals zu spät kommen.

 

10. Herr Castanho, wenn man auf dem lateinamerikanischen Markt aktiv sein will, kommt man an Brasilien eigentlich nicht vorbei. Oder mehr noch: Wenn man auf dem internationalen Parkett spielt, dann gehört Brasilien als Markt wirklich dazu. Stimmen Sie zu?

Definitiv! Deutsche Unternehmen sind seit über 100 Jahren auf dem brasilianischen Markt äußerst erfolgreich. Das ist ein gutes Zeichen für alle die sich noch nicht den Weg nach Brasilien gemacht haben. Brasilien bietet enorme Geschäftschancen – in vielen Bereichen: den erneuerbaren Energien ebenso wie in der Chemie-, Pharma- und Kosmetikindustrie. Der Medizintechnik, dem Maschinenbau, dem Öl- und Gassektor, dem Bergbau und natürlich der Automobilbranchen. Ich möchte gerne alle dazu einladen, sich über den brasilianischen Markt zu informieren und mögliche Geschäftspotenziale für sich zu eruieren.

Newsletter der IHK Hannover vom 29.11.18