Denn vom Trinkspruch bis hin zur Organisation von Verhandlungen lauern Fallstricke. Die schlimmsten Fehler sind althergebrachte Russland-Klischees und Besserwisserei.

Russland ist nicht nur das größte Land der Welt, es ist auch ein Vielvölkerstaat mit etwa 100 unterschiedlichen Ethnien. Vier von fünf Einwohnern der russischen Föderation sind Russen. Die größten Volksgruppen unter den restlichen 20% der Bevölkerung sind Tataren, Ukrainer, Baschkiren, Udmurten, Armenier und Deutsche.

Die offizielle Amtssprache ist Russisch, in vergleichsweise autonomen Republiken wie etwa Baschkortostan oder Tatarstan wird zusätzlich auch Baschkirisch oder Tatarisch gesprochen. Hohe politische Ämter werden in der Regel von Russen und Russinnen besetzt. Amtssprache ist Russisch. Dialekte sind kaum wahrzunehmen. Ein Schüler in Kaliningrad spricht dasselbe akzentfreie Russisch wie ein Rentner im 10.000 Kilometer entfernten Petropawlowsk-Kamtschatski.

Dennoch ist in wirtschaftsstarken Regionen wie etwa Tatarstan Vorsicht geboten: Entscheidungsträger in Firmen und Behörden können durchaus Muslime sein, darauf sollte man bei Geschäftsessen vorbereitet sein.

Renaissance der Machtkonzentration in Moskau

Russland war im Laufe der Jahrhunderte stets zentralistisch und hierarchisch geprägt. Das gilt für die Politik wie auch für die Wirtschaft. Dezentralisierenden Tendenzen im Zusammenhang mit Glasnost und Perestroika sowie dem Zusammenbruch der Sowjetunion folgte ab dem Jahr 2000 eine Renaissance der Machtkonzentration in Moskau.

Seit 2004 werden die Gouverneure nicht mehr in den Regionen gewählt, sondern von der Hauptstadt aus bestimmt. Damit einher ging eine verstärkte Bindung der politischen Kräfte in den Regionen an die Hauptstadt Moskau und an den Kreml.

Wer die russische Mentalität verstehen lernen will, der sollte zumindest einen kurzen Blick auf die vergangenen 20 Jahre werfen: Zweimal haben die Menschen praktisch all ihre Ersparnisse verloren – durch den Zusammenbruch der Sowjetunion und die Rubelkrise 1998. Auch die Wirtschaftskrise 2008/2009 hat Russland schlimmer getroffen als die meisten Länder. Die Folge: Russinnen und Russen vertrauen nicht auf eine lange Halbwertszeit von Bankkonten und Versicherungen.

Insofern ist es nicht verwunderlich, dass sie ihr Vermögen am liebsten möglichst schnell verkonsumieren – durch den Kauf von luxuriöser Kleidung, Schmuck, teuren Autos oder Yachten. Auch bei der Planung von Geschäftsvorhaben dominiert ein kurzer Zeithorizont von zwei bis drei Jahren. Bis dann muss sich ein Investitionsprojekt amortisiert haben und Gewinne abwerfen.

Russische Manager sind schwer in eine Schublade zu stecken. Die meisten zeigen gerne durch Auftreten und Äußeres, dass sie eine hervorgehobene Stellung in der Gesellschaft bekleiden. Teure Schweizer Uhren, maßgeschneiderte Anzüge und stets blitzblank geputzte Schuhe aus Italien – am Outfit wird nicht gespart.

Westliches Unterstatement ist den meisten fremd. Der Umgang gegenüber Dienstleistern wie Kellnern oder Verkäufern ist betont herablassend. Wer kann, zeigt, dass er die schönsten Urlaubsländer bereist, die besten Restaurants besucht und in aller Welt in den angesagtesten Modehäusern shoppen geht.

Mitunter trifft man aber auch auf betont lässige und leger gekleidete Geschäftsleute, die jedoch nicht zu unterschätzen sind. In etlichen Fällen ist es Firmeninhabern am Äußeren nicht anzusehen, dass sie ein großes Vermögen, manchmal sogar ein regelrechtes Imperium ihr Eigen nennen. Einige von ihnen haben in den Wirren des Transformationsprozesses die besten Geschäfte gemacht – und das nicht immer auf legalem Weg.

Auch die Rolle der Frau in Russland unterscheidet sich von der in Deutschland. Was hierzulande im Berufsleben als übertrieben aufreizend gelten würde, gehört in Russland zum Alltag. Russische Geschäftsfrauen, egal auf welcher Managementebene, legen höchsten Wert auf ihr feminines Äußeres. Dazu gehören hochhackige Schuhe und körperbetonte Kleidung genauso wie ein stets perfektes Make-up. Frauen erwarten von Männern ein Knigge-reifes Benehmen. Das Rollenbild von Mann und Frau ist klassisch-traditionell.

Deutsche und Russen verbindet eine lange, nicht immer einfache gemeinsame Geschichte. Nicht selten trifft man in Moskau, aber auch in den Regionen auf Menschen mit einer ausgeprägten Affinität für Deutschland. Rentner, die Gedichte von Schiller und Goethe rezitieren, Studenten, die für ihr Leben gerne in Deutschland leben und lernen würden, Geschäftsleute, die zuallererst mit deutschen Partnern Geschäfte anbahnen wollen. Und das trotz des Leides, das Russland im 2. Weltkrieg widerfuhr.

Besserwisserei ist tabu

Der schlimmste Fehler zuerst: Viele Deutsche neigen bei ersten Gesprächen mit ihren russischen Kolleginnen und Kollegen, Geschäftspartnerinnen und Geschäftspartnern dazu, lehrerhafte Positionen einzunehmen. Doch Besserwisserei ist tabu. Genauso wie Sprüche: "In Deutschland ist das alles viel besser, effektiver, ordentlicher." Deutsche werden in Russland besonders hoch geschätzt, vielleicht mehr als jedes andere Volk.

Umso verletzender wirken herablassende Bemerkungen über Missstände in Russland im Allgemeinen oder in den Betrieben russischer Partner im Speziellen. Vielmehr sollte man unverbindlicher fragen, wie man gemeinsam vorankommen, wie man die russische Seite unterstützen kann.

Form und Etikette sind ein Muss

Von ausländischen Geschäftspartnern wird in Russland vor allem eins verlangt: Form und Etikette. Je steifer man sich bei den ersten Treffen gibt, desto besser. Auf Geschenke sollte man entweder völlig verzichten, oder aber bewusst auf ein Geschenk aus der Heimatregion setzen. Männer sollten sich Frauen gegenüber wie Kavaliere verhalten. Russinnen und Russen erwarten von ihren Geschäftspartnern adrette Kleidung.

Teure und vor allem stets blank geputzte Schuhe sind besonders wichtig (früher waren qualitativ gute Lederschuhe schwer zu bekommen). Das gilt für Männer wie Frauen. Russen gestikulieren gerne beim Verhandeln – wir sollten das nicht nachahmen. Die Körpersprache sollte entsprechend ruhig und gesetzt wirken.

Russen sind extrem technikaffin. Wer sich in den Bereichen Mathematik, Physik und Technik wohl fühlt, darf das Gespräch getrost in diese Richtung lenken. Ansonsten eignen sich Anmerkungen zum Wetter oder zu Autos, um in ein Gespräch einzusteigen. Humor ist zwar erwünscht, aber es setzt sich auch in Russland immer mehr die Devise durch: "Leiser ist besser". Warnung: Wenn Russen Witze machen, dann manchmal auch auf Kosten von Minderheiten.

Glückwunschkarten zum Frauentag oder zum Tag der Vaterlandsverteidiger

Wer um die russischen Feiertage weiß und diese geschickt nutzt, dem zollt man in Russland Respekt. Ganz wichtig ist der 8. März – der Frauentag. Zu Neujahr sollte man seinen Geschäftspartnern getrost eine Glückwunschkarte schicken, aber nicht auf Antwort warten. Russinnen und Russen feiern in der ersten Januarhälfte ihr orthodoxes Weihnachts- und Neujahrsfest, fliegen nach Westeuropa zum Skifahren oder verbringen die Zeit mit ihren Familien in Datschen-Siedlungen. Da sind Geschäftstreffen so gut wie unmöglich.

Wer russischen Männern ein, zwei Tage vor dem 23. Februar zum bevorstehenden Tag der Vaterlandsverteidiger gratuliert, der sammelt Pluspunkte. Kuriose Randnotiz: Auch Russinnen und Russen gratulieren deutschen Männern zu diesem Fest!

Messebesuche bieten beste Chancen zur Kontaktaufnahme

Die beste Chance, Kontakte in Russland anzubahnen, ist über Messebesuche. Die russische Metropole Moskau ist die Stadt mit den meisten offiziellen deutschen Messebeteiligungen weltweit. Selbst in den Regionen gibt es Beteiligungen des Bundes und der Länder.

Außerdem bieten sich einige Regionen mit besonderen Branchen-Schwerpunkten geradezu für Fachmessen an. So zum Beispiel Nowokusnezk für den Bergbau, Tjumen für die Erdgas- und Erdölindustrie, Sankt Petersburg für den Automobilbau und die Regionen Altai (Hauptstadt: Barnaul) und Krasnodar für den Landwirtschaftssektor. Solche Chancen sollten deutsche Unternehmen nutzen.

Des Weiteren veranstalten das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland und die Wirtschaftsfördergesellschaften der deutschen Bundesländer Unternehmerreisen in die Regionen. Darüber hinaus gibt es Vermittler, die einen Kontakt zu Institutionen und Unternehmen in Russland herstellen können. Dazu zählt die Deutsch-Russische Auslandshandelskammer, aber auch Auskunfteien wie Creditreform können helfen.

Teilweise verfügen Bundesländer und Unternehmensverbände (zum Beispiel VDMA) über Büros in den russischen Regionen. Unter Umständen kommt man zudem über regionale Handels- und Industriekammern an potenzielle Partner heran. Natürlich können sie auch einfach im Internet nach Partnerunternehmen suchen. Aber Vorsicht: Nicht jedes Unternehmen hält, was seine Internetpräsenz verspricht.

Beim ersten Treffen dürfen natürlich Visitenkarten, Firmenprospekte oder sogar Muster nicht fehlen. Aber Vorsicht: Wo das nicht unbedingt erforderlich ist, sollte auf zu viel Infomaterial verzichtet werden. Der Laptop sollte nie unbeaufsichtigt bleiben – vor allem wenn sich darauf Firmeninterna befinden, die nicht für Externe bestimmt sind.

Bei offiziellen Verhandlungen sitzen sich die Verhandlungsführer beider Seiten stets gegenüber. Meist weisen Platzkarten darauf hin, wo die deutschen Geschäftsleute sitzen sollen. Ist dies nicht der Fall, wartet man, bis man einen Sitzplatz zugewiesen bekommt. Deutsche Geschäftsleute sollten Dolmetscherin oder Dolmetscher direkt neben sich platzieren. Es gibt meist eine klare Agenda und einen straffen Zeitplan.

Die Verhandlungsführer tragen zunächst ihre Eingangsstatements vor, man bedankt sich für die Einladung, erklärt warum man gekommen ist, welche Ziele man verfolgt. Und schon geht es in die eigentliche Verhandlung.

Gute Vorbereitung bei Verhandlungen ist das Wichtigste

Das Wichtigste bei Verhandlungen ist die Vorbereitung. Hilfreich ist es dabei, vor wichtigen Treffen Ziele zu formulieren. Entscheidungsmeetings sind im Grunde reine Formsache. Diskussionen in solchen offiziellen und meist größeren Runden sind verpönt. Das Wesentliche wie Preis und Zahlungsmodalitäten sollte bereits im Vorfeld verhandelt sein.

Des Weiteren ist es wichtig, sich schon vorab genau über die Kompetenzen des Verhandlungspartners zu informieren. "Am besten man fordert sogar die Satzung ein", rät Dr. Alexander Spaak, Geschäftsführer des Informationszentrums an der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer in Moskau. Das sei bei größeren Geschäften in Russland üblich. Aus der Satzung geht hervor, ob der Geschäftsführer überhaupt Verträge im entsprechenden Umfang unterschreiben darf.

Ein allzu vertrauter oder gar kumpelhafter Verhandlungsstil ist Gift. Je größer die russische Partnerfirma ist, desto wichtiger die Etikette. Umso leichter fällt es auch, Versuche abzuwehren den Preis zu drücken. Nicht wundern: Russen werden schon früh relativ banale Mängel kritisieren. Die Farbe einer Maschine etwa oder die Form. Argumente, die schwer zu widerlegen sind. Denn Formschönheit und Farbästhetik sind subjektiv. Dadurch sollte man sich nicht vom eigenen Ziel abbringen lassen.

Es gibt aber auch begründete Einwände, die unbedingt ernst zu nehmen sind. Die extremen klimatischen Bedingungen, die schlecht ausgebauten Straßen, Stromausfälle und viele andere Widrigkeiten zwingen russische Einkäufer zur Vorsicht. Außerdem gibt es in Russland keine Rückgabementalität. Die Lieferung einer teuren Maschine aus Baden-Württemberg nach Nowosibirsk via Bahn und Lkw ist extrem kostspielig und risikoreich. Das muss perfekt klappen.

Man kann die Ware aufgrund des teuren Transports nicht einfach nach zwei Wochen wieder zurückschicken. Darum versichern deutsche Handelsvertreter ihren Geschäftspartnern, dass ihre Waren beim Transport einer besonders hohen dynamischen Belastung standhalten werden, dass alles komplett versandt wird. Empfehlenswert ist eine Verpackung wie für einen Übersee-Transport. Einen Schalter oder ein Kabel später nachschicken – das wäre ein Riesenaufwand. Kurzum: Das Produktversprechen muss funktionieren!

"Ich betone bei Verhandlungen gerne, in welchen Regionen unsere Sensoren schon heute eingesetzt werden und seit wie vielen Jahren die dort reibungslos funktionieren", erzählt Kai Weckner. Das sei das wichtigste Argument. Wer noch keine Russland-Referenzen hat, der kann auch auf Projekte in den GUS-Staaten verweisen. In Russland fehlt oft die jahrzehntelange Erfahrung mit Produkten aus Westdeutschland.

Ein Verhandlungsprotokoll ist sehr ratsam. Am besten ist es, selbst mitzuschreiben. Denn auch die Gegenseite wird bei offiziellen Gesprächen Protokoll führen. Im Anschluss senden sich die Vertragsparteien die Protokolle so lange gegenseitig zu, bis eine abgestimmte Version vorliegt.

Dieser Postaustausch unterliegt meist strengen Formregeln. Die Faxe sollten nummeriert sein, sie sollten die nötigen Unterschriften und Stempel aufweisen. Jede seriöse Firma führt Faxeingangs- und -ausgangsbücher. Dasselbe Prozedere ist auch bei Verträgen ratsam.

Vorsicht vor Wirtschaftsspionage!

Ein weiterer Tipp: Niemals Firmeninterna und überflüssige Daten mitnehmen! Das "mobile Büro" und ein Mobiltelefon mit vielen Schnittstellen sind tabu. Besser nur ein einfaches Präsentationslaptop und ein extra Handy benutzen. Wirtschaftsspionage ist in Russland keine Seltenheit. Nicht selten kommt es vor, dass das Gegenüber bei Gesprächen unlautere Hilfsmittel einsetzt, die in Deutschland sogar verboten sein können. Manchmal zeichnen russische Manager Verhandlungen auf, ohne ihre Geschäftspartner vorher darüber informiert zu haben.

GTAI, 20.03.12